Verhaltensnormen (ādāb) und Erziehung im Islam
12. Juni 2025
Verehrte Muslime!
In unserer heutigen Hutbe geht es um Ādāb, also Verhaltensnormen, und Erziehung im Islam.
Adab bedeutet Anstand und wird definiert als eine dezente Fähigkeit, die sich durch Schamgefühl, Höflichkeit, Eleganz, gute Erziehung und gute Manieren auszeichnet und Menschen vor peinlichen Situationen bewahrt. (Vgl. Ö. N. Bilmen, Dini ve Felsefi Ahlak Lugatçesi, S. 7)
Hazrat Süleyman Hilmi Silistrevi beschreibt Adab wie folgt: „Adab bezeichnet Verhaltensweisen und Zustände, die im Einklang mit der Vernunft und der islamischen Religion stehen.” (Ali Erol, Hatıratım, S. 86)
Anstand, ist das kostbarste und schönste Gewand, das Worten und Taten angezogen wird. Wenn Adab fehlt, werden Worte grob und abstoßend, Handlungen verstellt und heuchlerisch, und Wissen wirkt bedeutungslos und langweilig.
Anstand ist Schönheit und Feinheit, die es in jeder Lebensphase zu beachten gilt. Anstand ist der Ausdruck der Vollkommenheit eines guten Charakters. Daher sagte unser Prophet (s.a.w.): „Ich bin nur gesandt worden, um die guten Charaktereigenschaften zu vervollkommnen.” (Al-Bayhaqī, Schu’ab al-īmān, 7978)
Ehre, Respekt und gutes Benehmen (Edeb) sind in vielen Bereichen notwendig. Zuallererst gebührt Adab gegenüber Allah und Seinem Gesandten. So wie die Ibâdât ihre Pflichten (Farz), ihre notwendigen Handlungen (wādschib) und empfohlenen Handlungen (Sunnah) haben, so haben sie auch Regeln des guten Benehmens, also die Adab. Erst durch das Einhalten dieser wird der Gottesdienst vollkommen. Selbst für das Gedenken an Allah (Dhikr) gibt es eine Form des Edeb.
Hazrat Abū Mūsā al-Asch’arī, einer der edlen Sahābīs, berichtet von einem Vorfall während der Schlacht von Haybar wie folgt: „Wir waren mit Rasūlullāh (s.a.w.) auf einem Feldzug. Als die Menschen in einem Tal ankamen, begannen sie laut den Takbīr zu rufen. Unser Prophet (s.a.w.) sagte: ,Beruhigt euch (erhebt nicht eure Stimmen)! Ihr ruft nicht zu einem, der taub oder abwesend ist, sondern ihr ruft zu Allah, der (alles) hört und nahe ist. Und Er ist mit euch.’” (Al-Buchārī, 4205)
In folgendem edlen Ayat lehrt Allah Taʿālā selbst wie das Gespräch mit unserem Propheten (s.a.w.) zu führen ist: „O die ihr glaubt, erhebt eure Stimmen nicht über die Stimme des Propheten und redet nicht laut mit ihm, so wie die einen von euch gegenüber den anderen laut sind, damit eure Taten nicht hinfällig werden, ohne dass ihr es merkt.” (Al-Hudschurāt, 49:2)
In diesem Ayat zeigt Allah Taʿālā allen Muslimen, dass sie dem Propheten mit Anstand Respekt erweisen sollen. Einige Gelehrte sagten: „Es ist auch verwerflich (makrūh), seine Stimme neben dem Grab unseres Propheten zu erheben. Denn er ist in seinem Grab lebendig.” Sie sagten sogar, es sei verwerflich, seine Stimme in Gegenwart von Gelehrten zu erheben, die als Erben des Propheten gelten. (Rūh al-Bayan, Hudschurāt, 49:2)
Liebe Muslime!
Die Gelehrten haben den Menschen Anstand beigebracht, indem sie ihn vorlebten und Ratschläge erteilten.
Hazrat as-Sarī as-Saqatī berichtete: „Nachdem ich eines Nachts gebetet hatte, streckte ich meinen Fuß in der Gebetsnische aus und hörte eine Stimme sagen: ,O Sarī, so sitzen nur Könige!’ Da sagte ich: ,(O Allah!) Bei Deinem Ruhm und Deiner Erhabenheit, ich werde meine Füße nie wieder ausstrecken.’” (Nuzhat al-Madschālis, Adab)
Abdullāh Ibn al-Mubārak sagte: „Wer bei der Einhaltung der Anstandsregeln nachlässig ist, wird bestraft, indem ihm die Sunna-Handlungen entzogen werden. Wer bei der Ausführung der Sunna nachlässig ist, wird mit dem Entzug der Fard-Pflichten bestraft. Wer bei den Fard-Pflichten nachlässig ist, dem wird die Ma’rifatullah, die Erkenntnis Allahs, verwehrt bleiben.” (Nuzhat al-Madschālis, Adab)
Der Tasawwuf, die islamische Spiritualität, die die den Glauben in seiner feinsten Form verwirklicht, ist der Inbegriff des Anstands.
Aus diesem Grund sagte Hazrat Süleyman Hilmi Silistrevi (q.s.): „At-tarīqu kulluhā adab, das heißt, der gesamte geistliche Weg besteht aus gutem Anstand. Ein Mensch ohne Adab (ohne Anstand) kann den rechten Weg nicht erreichen.” (Mektuplar ve Bazı Mesail-i Mühimme S. 155) Ich möchte meine Hutbe mit dem folgenden Hadith Scharīf beenden: „Macht euren Kindern Geschenke und bringt ihnen gute Manieren bei!” (Al-Bayhaqī, Schu’ab al-īmān, 6/400)