Die Überwindung des Zorns
03. Oktober 2025
Verehrte Muslime!
In unserer heutigen Hutbe geht es um die Überwindung des Zorns.
Zorn ist eine geistige Eigenschaft, die in der menschlichen Natur vorhanden ist, um auf Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Böses zu reagieren. Diese Eigenschaft, die im richtigen Maß in Angelegenheiten wie Religion, Heimat und Ehre eingesetzt werden sollte, ist wie das Feuer, das zum Heizen und Kochen verwendet wird. Es ist nützlich, solange es das rechte Maß nicht überschreitet. Wenn sich ein Mensch jedoch vom Zorn leiten läßt und dies in Form von Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Rache, und Zerstörung zum Ausdruck bringt, dann schadet er nicht nur sich selbst, sondern auch seiner Umgebung. Daher ist die Überwindung des Zorns eine Heldentat.
Im heiligen Koran werden diejenigen, die ihren Zorn im Zaum halten, als muttaqūn, als Gottesfürchtige, bezeichnet. Darin heißt es: „(Die Gottesfürchtigen sind diejenigen), die in Wohlstand und Not ausgeben, ihren Zorn unterdrücken und den Menschen verzeihen. Und Allah liebt diejenigen, die Gutes tun.” (Āl-Imrān, 3:134)
Zorn schaltet die geistigen Fähigkeiten aus und verhindert ein gesundes Denken sowie richtige Entscheidungsfindung. Ein Mensch, der seinen Zorn nicht kontrollieren kann, schadet daher sich selbst und anderen durch Beleidigung, Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Gewalt. Ja, sogar der Grundstein für endlose Feindschaften wird im Zorn gelegt. Wie bei Schwierigkeiten und Unglücken ist es notwendig, den Zorn mit sabr, mit Geduld und Standhaftigkeit, zu stoppen. In einem Hadith Scharīf sagt unser Prophet (s.a.w.): „Wenn einer von euch im Stehen wütend wird, soll er sich hinsetzen. Wenn sein Zorn vorübergeht, umso besser. Wenn nicht, soll er sich hinlegen. Wahrlich, der Zorn verdirbt den Iman wie der (bittere) Saft der Aloe Vera den Honig.” (Imam Rabbani, al-Maktūbāt, Bd. 1, 98. Brief)
Denn im Stehen ist der Zornige einem Ereignis mit schlechtem Ausgang viel näher als im Sitzen und im Sitzen viel näher als im Liegen.
Liebe Muslime!
Zorn ist auch ein Mittel göttlicher Prüfung. Im Augenblick des Zorns schürt die Nafs, das Ego, den Wunsch nach Rache. Er bringt einen dazu, im Recht aufzustehen und in Ungerechtigkeiten zu verfallen. Er schürt den Egoismus und lässt einen sogar das eigene Leben riskieren. Menschen, die in solchen Momenten ihren Willen kontrollieren und ihren Zorn herunterschlucken, sind wahre Helden. Auch dies ist ein Dschichad, ein Kampf gegen das eigene Ego. Rasūlullāh (s.a.w.) sagte: „Der Starke ist nicht derjenige (der) im Ringen, (den anderen besiegt), sondern der Starke ist derjenige, der sich selbst, seine Nafs, im Zustand des Zorns beherrscht.” (al-Buchārī, 6114) In einem anderen Hadith Scharīf heißt es dazu: „Wahrlich, der Zorn kommt vom Schaytan und der Schaytan ist wahrlich aus Feuer erschaffen. Feuer kann nur mit Wasser gelöscht werden. Wenn einer von euch zornig wird, soll er die rituelle Waschung vollziehen.” (Ibn al-Kathīr, Āl Imrān, 3:114)
Es ist eine große Tugend, demjenigen zu verzeihen, der einen erzürnt. Die islamische Geschichte ist voll von solchen Beispielen. Eines davon möchte ich hier erwähnen.
Hazrat Ā’ischa, die ehrenwerte Frau unseres Propheten und Tochter von Abu Bakr, wurde von den Heuchlern verleumdet. Diese Verleumdung wurde überall verbreitet. Es war eine sehr schwere Zeit für unseren Propheten und seine Familie. Doch schließlich wurden die Ayats 11 und 12 der Sure an-Nūr offenbart, die Hazrat Ā’ischa entlasteten. Das Spiel der Heuchler war durchbrochen. Einer, der sich unbedacht von den Lügen der Heuchler verführen ließ und mit ihrer Zunge redete, war Mistāh ibn Usāsa, ein Verwandter von Abū Bakr (r.a.). Da er sehr arm war, war er auf die Hilfe von Hazrat Abū Bakr angewiesen. Verärgert über dessen Beteiligung an diesem Vorfall schwor er, ihm nie wieder zu helfen.
Daraufhin wurde der folgende Ayat offenbart: „Und diejenigen von euch, die Überfluss und Reichtum besitzen, sollen nicht schwören, dass sie den Verwandten, den Bedürftigen und den Ausgewanderten auf dem Weg Allahs nichts geben, sondern sie sollen verzeihen und nachsichtig sein. Liebt ihr es selbst nicht, dass Allah euch vergibt? Allah ist Allvergebend und Barmherzig.” (an-Nūr, 24:22)
Daraufhin schluckte Hazrat Abū Bakr (r.a.) seinen Zorn herunter und unterstützte Mistāh weiterhin. Gesegnet sind die Helden, die ihrem Zorn nicht erliegen und ihn herunterzuschlucken wissen, auch um den Preis der Erniedrigung.